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Rezension
Quelle: Zeitschrift
für Volkskunde, Halbjahresschrift der Deutschen Gesellschaft für
Volkskunde, im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde herausgegeben
von Alexa Färber, Irene Götz, Manfred Seifert, Beate Spiegel
u. Ruth Kilian, 110. Jahrgang, Bd. 1/2014. Münster u. a.: Waxmann
2014, ISSN 0044-3700, S. 157 - 159
ESTHER GAJEK: Seniorenprogramme an Museen. Alte Muster
— neue Ufer. Münster u. a.: Waxmann 2013, 320 S., 27 Schwarzweißabb.,
5 graf. Darst. (Regensburger Schriften zur Volkskunde/Vergleichenden Kulturwissenschaft,
25; zgl. Regensburg, Univ., Diss., 2011). ISBN 978-3-8309-2596-5
Speziell an ältere Menschen gerichtete museumspädagogische
Angebote haben bislang weder die Erziehungswissenschaft noch die Museologie
oder eine andere Disziplin untersucht; ohnehin sind Forschungsbeiträge
zur Museumspädagogik dünn gesät. Gajek tritt an, diese Fehlstelle
zu füllen, motiviert durch langjährige Erfahrungen im Ausstellungswesen.
Als Vergleichende Kulturwissenschaftlerin wählt sie eine ethnografische
Vorgehensweise unter drei Aspekten: der Angebotsseite, der Sicht der Teilnehmenden
und deren Erfahrungen mit der Programmteilnahme. Die Beschreibung des Forschungsgegenstands
wie auch der Vorgehensweise bestimmt eine bei Clifford Geertz' Wortprägung
Bedeutungsgewebe entliehene Metaphorik: „Zentrales Anliegen ist es dabei,
Ort und Akt des Webens ganz konkret zu beschreiben." Neben dieses eher
hermeneutisch verankerte Forschungsinteresse stellt Gajek ein konstruktivistisches
Anliegen („Wie wird Alter durch die Angebote und Handlungen konstruiert?“).
Methodisch folgt Gajek erklärtermaßen Roland
Girtler, sowohl hinsichtlich der offenen teilnehmenden Beobachtung als
auch der Forschungsgespräche mit Teilnehmenden und mit museumspädagogischen
Fachkräften; Girtlers Anliegen, Forschung stets auf Augenhöhe
zu betreiben, führt Gajek bis dahin, keine Gesprächsleitfäden
mehr vorzubereiten, sondern den Interviewees weitgehend die Gesprächsführung
zu überlassen. Unerwähnt bleibt ein erheblicher Vorlauf der Forschungsarbeit
mit einer umfassenden Sondierung derartiger Angebote in ganz Deutschland
und 68 Programmteilnahmen in einer ungenannten Anzahl Museen; auf dieser
Grundlage bestimmt Gajek die vier Orte ihres Forschungsfeldes, die sowohl
relevante Museumstypen (je ein Geschichts-, Kunst-, Technik-, Lokalmuseum)
als auch charakteristische Programmformen repräsentieren (monatliche
Führung, Führung mit anschließender Bewirtung, Erzählcafe,
Kreativworkshop); hier gewinnt sie ihre fünfzig Interviewees auf der
teilnehmenden Seite.
Museologisch-museumspädagogisch Interessierte erhalten
wichtige ethnografische Methodenimpulse für eventuelle eigene Studien
(„vom Museums-Ich zum Forschungs-Ich"), aber auch Anregungen, die eigene
Rolle im Feld zu beobachten — anschaulich beim Changieren zwischen „Co-Expertin",
Komplizin und Kritikerin in den Gesprächen mit Museumsfachleuten.
Auch ohne Lektüreerfahrung mit Feldforschungsarbeiten vermag man der
Darstellung gut zu folgen; ein wesentlicher Grund dafür ist, dass
die Fallbeispiele in Abschnitt 1.3 mit der kondensierten Beschreibung einer
der betreffenden Veranstaltungen eingeleitet werden, ohne die an einem
anderen Veranstaltungstag desselben museumspädagogischen Programms
festgehaltenen Beobachtungen auszubreiten oder alle Befunde in analytisch
konstellierten Fragmenten zu präsentieren. Dieselbe Bevorzugung komplexer
Einzelfälle anstelle einer wie auch immer strukturierten Aufbereitung
diverser Befunde findet sich auch in Abschnitt 2.3, der neun aus fünfzig
Interviewees im Lebenslauf und in der Haltung gegenüber Museumsangeboten
porträtiert; hier stellt Abschnitt 2.4 aber zusätzlich aus allen
fünfzig Forschungsgesprächen fil-
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trierte charakteristische Gemeinsamkeiten der untersuchten
Seniorinnen und Senioren vor. Wiederholt dazwischentretende Fragen der
Autorin loten die Bedeutungsbandbreite aus oder blicken auf Anwendungsmöglichkeiten.
Volkskundlich-kulturwissenschaftlich Interessierten, nicht
nur dem akademischen Nachwuchs, bietet Gajek detaillierte, reflektierte
Beschreibungen, wie die Vorgehensweise entwickelt wurde, und anregende
Einblicke in Besonderheiten dieses Forschungsfelds. Jeden Respekt verdient
die behutsame und zugleich selbstfürsorgliche Feldannäherung
— erst nach drei Monaten der Programmteilnahme beginnt Gajek, Interviewees
durch persönliche Ansprache zu gewinnen; nur so gelangt sie einerseits
auf eine vertraute Gesprächsebene, andererseits verfügt sie deswegen
über Eindrücke vom Teilnahmeverhalten der Interviewees und kann
sich im Gespräch auf gemeinsame Programmerlebnisse beziehen.
Die Herleitung der Analyseverfahren kommt demgegenüber
knapp daher; weder die typisierende Auswahl der Interviewees (die Gesamtheit
wurde „nach Proporz ausgewählt", die neun daraus gezogenen Beispiele
haben Lebensläufe, in denen „sich etwas verdichtet") noch die „theoriegeleitete"
Formung der vier Hauptkategorien zur Interviewauswertung (Wissen — die
Anderen — Museum — Ich) lässt sich eindeutig nachvollziehen. Die „museale
Konstruktion von Alter" (Abschnitt 1.4) erfüllen Feldforschungsbefunde
und Literaturreferate, ohne dass diese kombinierte Vorgehensweise erläutert
wäre. Für den methodischen Nachvollzug wäre es sehr aufschlussreich
gewesen zu lesen, ob die realen Felderfahrungen, gerade auch das „Reden
ohne Inhalt" älterer Menschen, mit der reinen Methodenlehre, etwa
der nur kurz angeführten „Kunst des Reden-Lassens" von Schmidt-Lauber,
übereinstimmen.
Diesen begrenzten Schwächen steht der bemerkenswerte
Gesamteindruck gegenüber, wie mit mehrfachem, beherztem Verzicht auf
Details eine große Datenmenge auf ein vertretbares Volumen reduziert
wurde, um das Grundanliegen detaillierter Beschreibung realer Gegebenheiten
in ihrer Komplexität, nicht aufgelöst in analytischen Kategorien,
zu erfüllen. Gajek findet mehrfach sehr klare Worte für die begrenzte
Aussagekraft soziologischer, quantitativ angelegter Forschungen zum Museumspublikum.
Dessen hätte es nicht bedurft, obschon diese Forschungsrichtung die
Publikumsforschung der Museen seit deren Anbeginn dominiert. Gajek beweist
mit ihrer Untersuchung überzeugend, welchen Ertrag auf diesem Gebiet
ethnografisch ausgerichtetes Arbeiten zu bringen vermag. Ganz die Museumsfachfrau,
schließt sie nicht mit der Essenz ihrer Befunde und einem akademischen
Ausblick, sondern mit einem appellativen Anwendungsbezug.
Zwei Publika gleichermaßen zufriedenzustellen, ist
schwierig. Eher methodologisch Lesende erhalten reichhaltige Einblicke
in den Forschungsprozess, auch zur Interviewarbeit mit älteren Menschen,
und bekommen vorgeführt, wie man den Anspruch Dichter Beschreibung
durch Datenverzicht erfüllt (vorausgesetzt, man hat davon mehr als
genug zusammengetragen), sie werden aber Interessen hinsichtlich der Datenerhebungs-
und Datenanalyseverfahren nicht vollends befriedigt finden. Den Museumsfachleuten
und Museumsinteressierten liefert Gajek die erste fundierte Darstellung
zur Bildungsarbeit mit älteren Menschen aus deren subjektiver Perspektive,
hält gleichzeitig der selbstgefälligen Programmentwicklung den
Spiegel vor, die zu wissen meint, dass ältere Menschen Langsamkeit,
Ruhe und Barrierefreiheit wünschen.
Die Auszeichnung mit dem „Arnold-Vogt-Preis für Museumspädagogik
2011" beweist, dass auf dieser Seite die Innovativität der Untersuchung
bereits gesehen wurde und deren Anwendung in der Museumspraxis nun überfällig
erscheint. Aber auch auf
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der volkskundlichen Seite verdient diese Arbeit breites
Interesse, für diese Exkursion in das Fremde hinter Museumstüren
und für den Einblick sowohl in die notwendige (und allein tragfähige)
Projektdauer als auch die mehrfache Filtrierung großer Feldforschungs-Datenmengen.
Leipzig, MARKUS WALZ
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